Dominik kardinál Duka OP 
emeritní arcibiskup pražský

Predigt von Bischof Dr. Gerhard Feige zum Fest des heiligen Veit

Predigt von Bischof Dr. Gerhard Feige zum Fest des heiligen Veit
16. Juni 2014
Briefe

Als Hoffnungsgemeinschaft unterwegs

Predigt von Bischof Dr. Gerhard Feige zum Fest des heiligen Veit am 15. Juni 2014 in Prag

(1 Petr 2,4-9; Mk 1,14-20)

 

Liebe Schwestern und Brüder, dass es Kirche – gerade in Mittel- und Osteuropa – immer noch gibt, ist nicht selbstverständlich. Da können auch Tschechen und Ostdeutsche aufgrund besonders leidvoller Erfahrungen im letzten Jahrhundert nur staunen. Erfreulicherweise zeigt sich Kirche aber mancherorts sogar recht lebendig, Darüber dürfen wir uns freuen. Dafür sei Gott – wie auch am heutigen Festtag des heiligen Veit – von Herzen Dank gesagt. Angesichts mancher Verunsicherungen und Missverständnissen halte ich es jedoch ebenso für angebracht, wieder einmal darüber nachzudenken: Wer oder was ist eigentlich die Kirche? Wie wird sie wahrgenommen? Wozu ist sie da? Wovon lebt sie? Was ist ihr Ziel?

 

1. Nicht nur irdisch geprägt

 

Für viele Außenstehende, liebe Schwestern und Brüder, ist Kirche lediglich ein Verein unter anderen oder aber schon eine der bedeutsameren Organisationen.Manche Kritiker sehen in ihr einen reaktionären Interessenverband oder eine Selbsthilfegruppe für lebensuntaugliche Existenzen. Andere halten sie für einen durchaus nützlichen Kulturträger, Sozialanbieter und Arbeitgeber. Und schließlich hat sie auch das Image, Sinn und Werte zu vermitteln oder als Dienstleistungseinrichtung für religiöse Bedürfnisse zur Verfügung zu stehen. Immer weniger jedoch können mit dem christlichen Bekenntnis, dass die Kirche heilig sei, etwas anfangen.

In der Tat scheint Kirche sich oftmals kaum von anderen Institutionen oder Bewegungen zu unterscheiden. Auch wir setzen auf möglichst viele Anhänger, ausreichende Finanzen, engagierte Mitarbeiter, überzeugende Leistungen und gesellschaftliches Ansehen und sind frustriert, wenn sich andere Entwicklungen abzeichnen. Vieles an Kirche ist sehr irdisch und kann Menschen mit idealen Vorstellungen und hohen Erwartungen leicht irritieren oder furchtbar enttäuschen. Auch Christen sind nicht unbedingt Engel oder Heilige, und kirchliche Strukturen bewirken nicht von selbst paradiesische Zustände. Es gibt Versagen und Sünde, Unvollkommenheit und Schwäche, Angst und Resignation. Immer wieder stoßen wir an unsere Grenzen oder verfallen sehr weltlichen Denk- und Verhaltensweisen. Nicht jede und jeder lebt aus einem tiefen Glauben.

Diese Erkenntnis dürfte uns aber nicht genügen, denn Kirche ist mehr als nur die Summe ihrer Mitglieder oder eine gute Idee, mehr als nur eine irdische Größe. Wie schon die griechischen Herkunftswörter für „Kirche“ zum Ausdruck bringen, ist sie eine „ekklesia“, das heißt: eine Gemeinschaft von Menschen, die aus allen Völkern herausgerufen werden und das neue Volk Gottes bilden; und sie ist eine „kyriaké“, das bedeutet: sie gehört dem Herrn Jesus Christus, dem Kyrios, er ist ihr Haupt und sie sein Leib. Damit wird schon einmal deutlich, dass Kirche gewissermaßen ein „Mischwesen“ ist, menschlich und göttlich zugleich, mit einer sichtbaren und einer unsichtbaren Dimension.

Von daher wird sie auch als das große Mysterium und Sakrament angesehen, das die innigste Vereinigung der Menschheit mit Gott und der Menschen untereinander anzeigen und bewirken soll. Dabei ist der Heilige Geist das Lebensprinzip der Kirche. Er bewirkt, dass sie Gottes Werkzeug bleibt und nicht dieser Welt verfällt. Und wenn von ihrer Heiligkeit die Rede ist, darf darunter nicht ethische Vollkommenheit verstanden werden; gemeint ist damit vielmehr die unlösbare Zugehörigkeit zu Gott. Als göttliche Stiftung hat sie teil am Heiligen und lebt vor allem davon, von Gott selbst mit den Gütern des Heils beschenkt zu werden. Darum sind die Feier der Sakramente und das Hören auf das Wort Gottes für uns auch grundlegend. Diese Wirklichkeit ist jedoch nur im Glauben zu erfassen.

 

2. Dem Reich Gottes verpflichtet

Liebe Schwestern und Brüder, woraufhin sind wir nun aber unterwegs? Was motiviert und mobilisiert uns auf dieser Wanderschaft „zwischen den Verfolgungen der Welt und den Tröstungen Gottes“ (LG I, 8)?

Vorhin haben wir die Botschaft Jesu gehört (Mk 1,14): „Die Zeit ist erfüllt, das Reich Gottes ist nahe. Kehrt um, und glaubt an das Evangelium!“ Könnte das uns nicht die Richtung weisen?! Hier wird verkündet, dass Gottes Wirklichkeit uns umgibt und herausfordert. Wir können nicht über sie verfügen, aber uns ihr öffnen, ihr nachspüren und diesem „Mehrwert“ in unserem Leben Raum geben.

Ohne Zweifel sind wir als Kirche nicht mit diesem Reich Gottes identisch. Immer und überall, wo man sich auf Erden triumphalistisch anmaßte, es aus eigener Kraft zu errichten, musste solches scheitern. Es bleibt – positiv gesagt – unser Ziel, auf das wir als Kirche hoffend zugehen, ein kritisches Gegenüber und Korrektiv. Das wird auch daran deutlich, dass wir immer wieder beten: „Dein Reich komme!“

Andererseits ist Gottes Reich durchaus aber schon gegenwärtig und wirksam, vorläufig und verborgen zwar, vielfach auch nur in gebrochener Weise. Ein besonders deutliches Zeichen dafür ist vor allem die Kirche. Darüber hinaus wird Gottes Herrschaft in Gerechtigkeit und Liebe jedoch auch überall da sichtbar, wo Menschen selbstlos handeln und sich für Freiheit und Gerechtigkeit, Versöhnung und Frieden einsetzen.

Aus der Spannung, dass dieses Reich Gottes bereits angebrochen ist, seine Vollendung aber noch aussteht, ergibt sich auch, dass Kirche immer wieder zur Erneuerung bereit sein muss, „ursprungsgetreu, zielorientiert und situationsbezogen“ (Heinrich Fries). Um des Reiches Gottes willen kann es dann notwendig sein, sich von manchem zu verabschieden, was in früheren Zeiten und vielleicht noch gestern uns lieb und teuer war. Wir müssen sogar bereit sein, aus alten Gewohnheiten auszubrechen, wenn sie uns inzwischen unnötig belasten und vom Eigentlichen abhalten. Das war schon dem heiligen Augustinus bewusst. Als Rom im Jahre 410 von den Vandalen erobert wurde und viele Christen befürchteten, dass mit dem Untergang des römischen Reiches auch das Reich Gottes untergehe, sagte er: „Halte dich nicht an die alte Welt – werde jung im Glauben an das Reich Gottes.“ Im Blick auf 2000 Jahre Kirchengeschichte und im Vertrauen auf Gott sollten erst recht wir uns bewusst sein: Kirche ist nicht an bestimmte Verhältnisse gebunden; sie kann überall – auch unter schwierigsten Umständen – Wurzeln schlagen, sich entfalten und ihrer Sendung gerecht werden. Zudem ist unser Ziel nicht irgendeine Gestalt von Kirche, sondern das Reich Gottes.

 

3. Für andere da

Liebe Schwestern und Brüder, da Kirche dazu bestimmt ist, als Zeichen des Reiches Gottes zu wirken und diesem entgegenzugehen, wäre es fatal, wenn wir immer nur um uns selbst kreisen würden. Es kann doch nicht das einzige Bestreben von Kirche sein, ihre Position zu behaupten oder auszubauen, sich selbstverliebt zu bespiegeln oder ängstlich abzugrenzen. Kirche ist schließlich – wie Karl Rahner einmal gesagt hat, „kein Ofen, der sich selber wärmt“. Sie ist für die Menschen da, muss bei ihnen sein und sich für ihr ganzheitliches – das heißt leibliches und seelisches, irdisches und ewiges – Heil engagieren. In diesem Sinn haben wir im Bistum Magdeburg auch einmal programmatisch formuliert: „Wir wollen eine Kirche sein, die sich nicht selbst genügt, sondern die allen Menschen Anteil an der Hoffnung gibt, die uns in Jesus Christus geschenkt ist.“ Mir ist durchaus bewusst, dass wir nicht alle Not lindern und allen Erwartungen entsprechen können. Da sind unsere Kräfte und Möglichkeiten oftmals zu gering. Aber Zeichen können wir setzen und Mut machen gegen manche Resignation: im praktischen Engagement für alle, die Not leiden, aber auch im geistigen Ringen um die Gestaltung unserer Gesellschaft.

Schauen wir z.B. auf Europa! Von seinen Ursprüngen und Idealen her ist es nicht nur ein Wirtschaftsverbund, sondern auch oder vor allem eine Kultur- und Wertegemeinschaft. Und das jüdisch-christliche Erbe ist es, das diesen unseren Kontinent entscheidend geprägt hat. Fast überall begegnen uns solche Spuren in Architektur, Musik und bildenden Künsten, in Literatur und Sprache, in Denkweisen und Verhaltensmustern. Viele Heilige haben Europa ein besonderes Gesicht gegeben: Benedikt von Nursia z.B. oder Cyrill und Methodius, Adalbert von Prag, Norbert von Xanten und Johannes von Nepomuk, Franziskus von Assisi und Elisabeth von Thüringen, oder auch Veit und Edith Stein. Und auch heute gilt es, Christus konkret nachzufolgen, ihn unseren Zeitgenossen zu bezeugen und in seinem Geiste zu handeln. Nach wie vor sind wir dazu gesandt, dem christlichen Menschenbild nach für Werte einzustehen, ohne die ein Leben in Freiheit nicht gelingen kann: die unbedingte Achtung vor der Würde jedes Menschen vom Embryo bis zum Sterbenden, den Schutz von Ehe und Familie sowie die Sorge um das Gemeinwohl, für Gerechtigkeit und Barmherzigkeit, für Demokratie und Toleranz und gegen jeglichen Extremismus. Damit können wir zu Brücken der Verständigung zwischen unseren Völkern werden. Damit können wir unserem Kontinent aber auch noch einen anderen Dienst leisten: ihn daran erinnern, was ihn eigentlich inspiriert. Denn – so hat es Kardinal Kasper einmal formuliert – „das moderne Europa wird auf die Dauer … nur Bestand haben, wenn es seine religiöse und insbesondere seine christliche Seele wiederentdeckt“.

 

Liebe Schwestern und Brüder, als Kirche bleiben wir eine Schicksalsgemeinschaft auf dem Weg durch die Zeit. Immer wieder gibt es Ab- und Umbrüche, wandelt sich ihre Gestalt, müssen wir Krisen durchstehen, werden wir zur Umkehr herausgefordert. Uns ist aber zugesagt, dass wir nicht fern vom Reich Gottes sind. Und das sollte uns Mut machen, selbst die Hoffnung nicht zu verlieren. Was auch kommen mag, Gott ist mit uns im Bunde, und das verheißt uns Zukunft und Leben.