Dominik kardinál Duka OP 
emeritní arcibiskup pražský

Die Predigt bei der Pilgerfahrt nach Maria Kulm

Die Predigt bei der Pilgerfahrt nach Maria Kulm

Die Predigt von Dominic kardinal Duka OP Erzbischof von Prag und Tschechische Primate bei der Pilgerfahrt nach Maria Kulm am 15. August 2015.

17. August 2015
Predigten

Wir treffen uns in diesem Jahr bei der Jungfrau Maria, wo auch der Name diesen Ortes, Maria Kulm verrät, dass wir hier, auf dieser Stelle sind, wo schon seit dem Mittelalter die Pilger gekommen waren, um die Verstärkung, manchmal auch Trost, aber vor allem Freude und Lebenskraft zu schöpfen. So ist die Geschichte aller Marien-Wallfahrtsorte, die es beweisen, dass weder Schmerz, Krankheit noch Enttäuschung die Stärke der wahrer Liebe auslöschen können.

 

Heuer treffen wir uns in dem Jahr, in dem wir an das Ende des 2. Weltkrieges uns erinnerten und noch erinnern werden.

 

In Wahrheit müssen wir sagen, dass es zwei entscheidende Daten gibt: der 8.Mai und der 2. September 1945 = Japans Kapitulation und die tatsächliche Einstellung des Kriegskonflikts. Es sind auch genau 65 Jahre nach der feierlichen Verkündung des Maria-Himmelfahrt Dogma durch den Papst Pius (dem)XII (-ten) im heiligen Jahr 1950. Die Mehrheit der Gläubiger der Mittel – und Osteuropa konnte jedoch nicht mehr in Folge des Eintritts der kommunistischen Diktatur, gehalten durch die Hegemonie der Sowjetunion, teilnehmen. Erlauben Sie mir eine kleine persönliche Erinnerung: während der hl. Messe hier in Maria Kulm ist im Laufe der Lesung aus der Apokalypse über den roten Drachen die damalige kirchliche, jedoch parteitreue Sekretärin  eingetreten, der ich später nur mühsam erklären musste, das in der Lesung weder sie, noch die kommunistische Regierung gemeint war und dass der Text in die Textdatei des Neuen Testaments gehört, was bereits in der Wende des ersten- und zweiten Jahrhundert nach Christus beschlossen wurde. Noch viel schwieriger war es jedoch zu erklären, warum ich in dem Zusammenhang mit Verkündung des ;Dogma den Zitat Graham Greens (aus seinem Paradox des Christentums), der sich die Frage stellt, warum dieses Dogma genau am Ende des Jahres 1950 verkündet wurde. Die Wallfahrtsorte sind nicht aus dem Kontext der Geschichte ausgerissen, das auch durch unser Maria Kulm belegt. Hussitenkriege, der Dreißigjährige Krieg und nicht zuletzt die napoleonische Kriegszüge ( und wir könnten weiteres aufzählen), haben sich in der Geschichte der Kirche und ihrer ganzen Umgebung verewigt. Das Christentum ist keine Religion, die sich auf den Himmelswolken bewegt, sondern der menschlichen Geschichte folgt. Die Vision der Frau aus der Apokalypse, die rennt, um ihr Kind zu retten, ist sicherlich eine Anspielung auf die Mutter Gottes, der Jungfrau Maria, sie berührt auch das Geheimnis der Religion, das Volk Gottes - Israel. Das zwanzigste Jahrhundert hat uns gezeigt, wie schwierig ist es, die Verfolgung und das Leiden des alten Israels und das Leiden und die Verfolgung des neun Israels zu trennen. Sehr oft haben wir die Fragen gehört, wo war Gott, ist überhaupt möglich zu glauben, dass  irgendein Gott existiert? Die Bibel sagt uns - es ist nicht möglich, Gott zu sehen, man kann ihn nicht berühren, man kann sich ihn nicht Vorstellen. Aber die Marienkirchen nach dem Ephesus Konzil (381) erzählen, dass Gott seine Mutter – die Muttergottes, Theothokos hat, so riefen die Menschenmengen in der Stadt nach der Beendigung des ökumenischen Konzils.

 

Wir bekennen und werden auch  in diesem Gottesdienst bekennen, dass wir auf Jesus Christus, den wahren Gott und wahren Mensch glauben; den Christus, der verraten, verlassen, missbraucht und am Kreuz hingerichtet wie ein Verbrecher wurde. Diesen Weg sind Hunderttausende von Menschen in der Zeit des Nationalsozialismus und Kommunismus gegangen, diesen Weg gehen auch heute die Verfolgten durch Terrorismus und Totalitarismus in Afrika, im Nahen Osten, in Nordkorea und in weiteren Ländern. Aber Der, der Ist, der Unvorstellbare, ist eben am Vorabend der Hinrichtung wie erwischt bei folgenden Worten: "Die größte Liebe hat, wer sein Leben für seine Freunde gibt.“ Und seine Jünger weigert er sich,  Diener zu nennen. Er behauptet: „Ihr seid meine Freunde.“.Das führt den jüngsten der Jünger Johannes den Evangelisten zur Übersetzung einer neuen Definition des Gottes: „Gott ist Liebe“, wobei er bemerkt: „Gott hat nie Jemand gesehen.“ Wo hat er also Gott gesehen? Wie konnte er sich erlauben zu sagen, dass Gott Liebe ist? Warum hat  auf Golgatha er oder Maria von Magdala oder Mutter Jesu Maria die Frage: „Gott, wo bist Du? Nie gestellt?“ Auf den Seiten des Buches der Bücher wird über Gott nicht oft gesprochen und neben den einfachen Definitionen, wie wir jetzt eine solche gehört haben, wird sonst sehr poetisch, symbolisch, manchmal auch mit Hilfe mystischer Bilder geschrieben. Falls ich die Antwort auf die Frage  - wer Gott ist – hören will, habe ich nicht nur den Pentateuch, Buch Exodus, in dem sich Gott dem Moses vorstellt, zur Verfügung: „Ich bin Der, der Ich bin“, aber gelesen wird auch bei den Propheten Hosea, Jesaja und Jeremia, wo Gott behauptet, der Vater zu sein, oder auch Bräutigam seines Volkes.

 

Das alteste Hochzeitlied ist zum Teil der Bibel unter der Bezeichnung „Das Lied der Lieder“, was das Israelische Volk während Ostern beim Gottesdienst liest, geworden. Wir müssen zugeben, dass, wenn wir über Gott sprechen wollen, können wir nicht anders, als in der Sprache der Symbole, der poetischen Metaphern, die die tiefste Schichten des Menschen berühren. Vater und Kind, Muter und Kind, Sohn und Tochter. Und so sind wir eigentlich erst fähig, das Geheimnis Dessen, der ist, über wenn wir als über Gott sprechen, zu verstehen. Über das Prinzip des gesamten Kosmos, über den Schöpfer. Aber wir nähern uns auch dem Gott durch das Gebet „Vater unser“, dass uns der Sohn von Maria, Jesus, der wahre Gott und wahrer Mensch gelehrt hat. Wo finden wir die Begründung für diese Vorgehensweise? Es ist kein Betrug, es ist keine Fiktion. Die ersten Seiten der Bibel, die über den Menschen sprechen, sprechen über ihn als über „Mann und Frau“, also über ein Band der Liebe, über eine gegenseitige Beschenkung, d.h. über einen Menschen, der das Bild Gottes ist, wie die Bibel sagt.

 

Warum diese Frage – gibt es überhaupt Gott?

Warum diese Frage – wo war Gott?

 

Nach dem Jahr 1945 lesen wir bei einigen deutschsprachigen Theologen: Ist es überhaupt möglich nach Auschwitz über Gott zu sprechen? Ich könnte hinzufügen: Ist es überhaupt möglich nach Jachymov, Valdice und sowjetischen Gulags über Gott zu sprechen?

 

In diesen Tagen gedenken wir die atomare Intervention auf  Hiroshima und Nagasaki. Wo war Gott? Auch im Warschauer Aufstand starben mehr Söhne und Töchter des polnischen Volkes als die Anzahl der getöteten Menschen in Hiroshima und Nagasaki zusammen. Hat sich diese Frage der Sohn des polnischen Volkes – der Papst Wojtyla, der heilige Johannes Paul de II gestellt?

 

Hatte er den Mut, zum Gott zu sprechen? Wie eigentlich ist diese Frage geboren? Jawohl, das Gottes Bild des Menschen wurde in den Staub getreten. Auf den Schlachtfeldern Europas sowie im Fernosten hat Mensch keine Wertigkeit. Wenn wir uns heute diese Frage stellen, dann müssen wir sagen, dass für den Islamischen Staat oder für Nordkorea der Mensch überhaupt keinen Wert hat. Wir Fragen, was der Mensch für die heutige Zivilisation bedeutet?

Ich frage schon überhaupt nicht mehr, wer eigentlich der Mensch ist. Falls  viele von uns in diesem Land überlegen: „Es muss etwas über uns sein“, so ist es eine Reflexion auf „Etwas“, was sich Mensch nennt. Wir verlieren die Vision eines persönlichen Gottes, weil der Mensch nur eine Null auf dem Weg durch das Universum ist – wie Jean Paul Sartre sagte – bloß ein Aas. Das ist der Mensch auf den Schlachtfeldern des zwanzigsten Jahrhunderts, das ist der Mensch hinter den Zäunen der Konzentrationslagern und Gulags. Man kann sich jedoch nicht wundern, warum diese Frage nach der babylonischen Gefangenschaft, als der vernichtete Jerusalem und die Vertriebenen Israels und Judäas zu Hunderten starben, Männer, Frauen und Kinder, als der Tempel in Trümmern lag, nicht auftauchte ? Hat sich wohl Jesaja oder Jeremia diese Frage – wo ist und wo war Gott – gestellt? Im Gegenteil! Jeremia spricht über einen neuen Vertrag, Jesaja hat die Vision über den freudigen Rückkehr und den Neuen Jerusalem.

 

Wo wurde also der jener Atheismus geboren, der keine logische Begründung (Rechtfertigung) hat? Er glaubt nicht auf die Wahrheit, er glaubt nicht  auf den Menschen, weil der neue Mensch des Friedrich Nietzsche, der neue Mensch Hitlers und Stalins hat sein Gesicht ohne Gott gezeigt. Das Gesicht der Bestie, das Teufelsgesicht. Und deshalb ist unsere Kultur oft nur eine Kultur der Angst und des Todes. Deshalb gibt es so viele Hauslanger, Kolaboranten und solche, die verraten haben, die für den Kommunismus und Faschismus  und weitere totalistische Systeme käuflich waren, die das menschliche Gesicht nicht als Bild Gottes verwirklichten. In Prag 1968 haben die Kommunisten selbst das menschliche Gesicht des Sozialismus gesucht. Wie ein Kartenhäuschen war diese Illusion zusammengebrochen. Wir wollen nicht in das Spiegel der Geschichte blicken, wir  meiden die Konfrontation mit der Vergangenheit.

 

Die Poesie und Symbolik sind verstummt. Wo ist die Zeit der großen Dichter des neunzehnten – und zwanzigsten Jahrhunderts?Wo ist die Zeit der Dichter, die unter der Peitsche der roten Regierung in der Tschechoslowakei, Polen, Ungarn und der Sowjetunion uns Hoffnung gegeben haben? In dieser Situation ist es nötig, auch durch die Sprache, die jeder Mensch der digitalen Revolution verstehen kann, zu sprechen.

 

Trotzdem darf aus unserer Sprache nie das Wort Mutter und Vater verloren gehen. Dort, wo diese Worte ihren Inhalt verlieren, wird es nicht möglich sein, über Gott zu sprechen. Es bedeutet nicht, dass es ihn nicht gibt, aber der Mensch verliert sein Gesicht, seine Persönlichkeit, weil er das Unterbewusstsein  darüber, dass er ein Gottes Bild ist, verliert.

 

Und so wünsche ich allen Teilnehmern dieser Wallfahrt, wobei die Mehrheit von uns Älteren aus eigener Erfahrung sagen kann, dass nach all den Ereignissen, die hier erwähnt wurden, nicht nur, dass wir über Gott sprechen, dass wäre zu wenig, aber – das wir  über Gott  sprechen können und auch sprechen.

 

Deshalb sind wir hier und wissen, dass durch Christus, dem Marias Sohn, uns Gott hört und uns auch versteht.

+Dominik kardinal Duka